Claudia Feger: "Individualität trifft Teamwork"
Gerald Höfer und sein audiovisuelles Projekt Barbara Rossa
Wer "Barbara Rossa" nie live erlebt hat und den Namen zum ersten Mal im Veranstaltungsplan des Wave-Gotik-Treffens liest, ist ein wenig irritiert, wird er doch eine Schriftstellerin erwarten. Um so überraschter ist das Publikum, wenn es feststellt, dass es sich bei "Barbara Rossa" um die gelesenen Texte Gerald Höfers handelt, die von seinem Sohn Martin Höfer während des Auftritts auditiv und visuell in Szene gesetzt werden.
Das Pseudonym Barbara Rossa beruht auf der Gründung eines satirischen Zeitschriftenverlages. Da die Autoren anonym bleiben wollten, legte sich jeder einen Aliasnamen zu. "Weil der Ort, aus dem ich stamme, direkt am Kyffhäuser liegt, war die Verballhornung von Barbarossa, einem der missbrauchtesten Namen in der Region, schon eine Satire an sich. Als Martin und ich dann unser Projekt gründeten, reaktivierten wir 1998 den Namen." Ziel war es, eigene Literatur in multimedialer Weise darzustellen.
Gerald Höfer, der literarische Kopf des Projekts, veröffentlicht seit 1985 hauptsächlich Lyrik. Im Jahr 1990 absolvierte er das Leipziger Literaturinstitut mit "sehr gut", worauf er heute noch stolz ist, "auch wenn einem Autoren ein Prädikat nicht weiterhilft". Neben diversen Literaturpreisen in den Jahren 1986 bis 1989 erkannte man ihm im Herbst 1989, in den Wirren der Wende, den letzten Nachwuchslyrikpreis der DDR, das so genannte "J. R. Becher-Diplom" zu.
Der andere Part ist Martin Höfer. Er ist gelernter Mediengestalter für Digital- und Printmedien, insbesondere Mediendesign und erwarb ein Spezialabitur Gestaltung an der Walter Gropius FOS in Erfurt. Derzeit studiert er Medienkunst an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig.
In der Zwischenzeit liegen von Gerald Höfer zwei Lyrikbände, ein Prosaband, vier Sammelbände mit bekannten Autoren wie etwa Oswald Henke und eine Anthologie mit Lyrik über den Kyffhäuser vor. Die Thematik des Kyffhäusers ist dabei ein sehr wichtiges Themengebiet für den Autor. "Wenn man dort wohnt und den Berg immer vor Augen hat, stellt sich so etwas wie heimatkundliche Verbundenheit her, und wenn sich dann noch einige Mythen über das Provinzielle hinaus um den Berg ranken, wird es doppelt spannend. Es gibt vorchristliche Höhlenheiligtümer, die mit der Barbarossahöhle nichts zu tun und den Weg ins öffentliche Bewusstsein noch nicht gefunden haben. Das macht die Sache für den neugierigen Schreiber interessant. Die Anthologie mit Kyffhäusergedichten der letzten 200 Jahre ist ein Ergebnis der Beschäftigung mit dem Thema."
Großen Wert legt Barbara Rossa auf die audiovisuelle Gestaltung. Die Idee dazu entstand in den 80er Jahren bei Lyrikveranstaltungen. "Mir fiel auf, dass die Veranstalter immer noch ein paar talentierte Schüler der Musikschule dazu bestellten, um für einen anspruchsvollen Rahmen zu sorgen. Irgendwann nervten mich die Flötentrios, weil sie zumeist nicht zu meinen Texten passten, und es gab nur zwei Alternativen: den Veranstaltern zu sagen " Bitte nicht!" oder die Musik selbst zu liefern." Höfer ging deshalb 1990 mit zwei Rockmusikern auf Tour. Das Buchdebüt, ein Lyrik-Foto-Band mit dem Titel "bloß", unterschied sich von herkömmlichen Text-Bild-Bänden dadurch, dass die Texte nicht neben den Fotos standen, sondern Bestandteil der Bilder waren, sie waren sozusagen eins geworden. "Was mich aber immer schon faszinierte, war die Mischung aller Richtungen: Text-Bild-Sound." Nach einer Experimentierphase kamen dann auch weitere interessante Verknüpfungen zustande.
"Meine Auffassung ist, dass in einer vernetzten gleichzeitigen medienbestimmten Gesellschaft auch neue Kunstformen her müssen." Da ein Künstler zumeist nur ein oder zwei Talente besonders gut ausgeprägt hat und nicht gleichzeitig in Bildender Kunst, Film, Musik, Technik, Literatur und Darstellender Kunst Spitze sein kann, sei multimediale Kunst, wie Höfer sie versteht, immer nur als Teamwork denkbar. "Der Widerspruch, der sich daraus ergibt, scheint unauflöslich: die Individualität des einzelnen Künstlers und die Integration ins Team, die Unterordnung unter die Idee."
In: Lingua et opinio - Zeitschrift für Sprache und Kommunikation, 13.06.2006