Endlich liegt nun eine aktuelle Veröffentlichung von Barbara Rossa, d.i. Autor Gerald und Gestalter Martin Höfer, vor, nachdem Barbara Rossa in Form von Lesungen bereits seit längerer Zeit auf diversen Veranstaltungen live zu erleben war, zuletzt etwa Wave-Gotik-Treffen 2003. Wie schon der Untertitel verrät, enthält der Band "Sophie" drei Erzählungen und eine Reportage, die so etwas wie einen Rückblick über die letzten zwanzig Schaffensjahre des Autoren bieten.

Alle drei Erzählungen zeigen einen bizarren Realismus, der nicht selten Ausflüge ins Phantastische unternimmt, und dabei immer sozial- und gegenwartskritisch ist. In allen dreien klingt immer wieder der charakteristische, ein wenig kurzatmige Stil Höfers an, der immer mahnend, zuweilen auch sehr unterhaltsam sein kann.


Die Erste Geschichte "Die Kassette" berichtet vom "Satansmord von Sondershausen", der sich in ummittelbarer Umgebung des Autoren ereignete. Wie durch eine versteckte Kamera werden die letzten Stunden des Opfers, Falko, und sein Zusammentreffen mit der extremen Schul-Band "ABSURD", geschildert. Besonderes Anliegen des Autors ist es sichtlich, das Geschehen real und plastisch erscheinen zu lassen, ohne je dabei das menschliche Auge auf das Opfer zu verlieren. Zentralmotive sind Angst und Unverständnis des Opfers. Obwohl es keine Zeugen der Tat gab, versucht diese Geschichte ein Zeugnis abzulegen und wirft ein subtiles Licht auf die Lage eines jungen Mannes, der ahnt, dass er bald sterben wird.

Es folgt "Siebzehnte Nachtwache", eine Annäherung an das Schicksal Johann Karl Wezels (1747 - 1819), dem Autor des "Belphegor", der wie Höfer in Sondershausen, Thüringen, lebte.
Die Geschichte spielt sich in eben jenem Ort in der Gegenwart ab, und entspinnt sich im Rahmen der Fiktion, Wezel könnte heute noch einmal sein vernichtendes Urteil über seine Mitbürger abgeben. Wezel wurde von seinen Zeitgenossen für wahnsinnig gehalten, wegen seiner Lust an künstlerischer Provokation und seiner Unfähigkeit, sich ins bürgerliche Leben des achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhunderts einzugliedern.
Die leidvollen Erfahrungen des missverstandenen Künstlers werden so in die Gegenwart transponiert, in der sie nichts an Scharfsinn verloren haben: noch immer regieren allerorts Kleingeistigkeit und offene Feindseligkeit gegenüber dem kreativen, unangepassten Geist, der verzweifelt versucht, andere Wege des Denkens und Handelns zu erforschen.

In "Sophie" schließlich beschäftigt Höfer sich mit Eigenarten seiner Heimat. Eine Phantastische Geschichte, die in der zerrissenen Realität Nordthüringens angesiedelt ist: einerseits rufen hügeliges Waldland und finstere Höhlen dem Wanderer noch immer alte Sagen ins Gedächtnis, anderseits herrschen allerorts bäuerliche Einfachheit und glatzen- und bierflaschenbewehrte Beschränktheit.
Höfer wagt es, den Bogen zu schlagen zwischen diesem teils tristen Alltag, Naturbeschreibung und einer phantastischen Wanderung. Fast unmerklich schmuggelt er auch eine Reminiszenz an Novalis' "Heinrich von Ofterdingen" ein, die am Ende aber offensichtlich wird und Teil der Geschichte, so wie die Naturromantik des Novalis ewiger Teil dieser Landschaft sein wird.

Den Band rundet die Reportage "Das Cafe Pille Experiment" ab. Darin betreibt Höfer - ein wenig wehmütige - DDR-Folklore, indem er erinnert, wie schwer, und doch wie leicht eigentlich, es war, andere Wege zu gehen als das System es vorschrieb. Mitte der 80er waren freie Künstler nicht geduldet und ein privater Auftrittsort wie das "Cafe Pille" rief sogar die Staatssicherheit auf den Plan, obgleich laut Höfer doch nur "leicht subversives" Programm geboten wurde.
Höfer blickt zurück auf die Bemühungen, sich geistig von staatlichen Vorgaben zu emanzipieren und erinnert sich an so manche Mitstreiter und Widersacher jener Zeit, in der sich die Bewegungen von 1989 wohl schon abzeichneten. Viele hat er heute aus den Augen verloren, sie sind abgetaucht, als wäre die Wende ein Krieg, in dem Menschen verschwinden. Andere kündigten die Freundschaft weil sie nun mehr am Profit des neuen Marktes interessiert waren, wieder andere tauchten überraschend in den Akten der StaSi als IMs auf.

Zweifellos ein Zeitdokument an jene Gesellschaft, deren Menschen einerseits staatlich behütet, andererseits stets bedroht wurden; zugleich aber ein gültiger Aufruf, sich nie anzupassen, immer die "Schlupflöcher" des Systems ausfindig zu machen und hindurch die zensierte Freiheit des Denkens wiederzuerlangen.

Passend dazu fügt Höfer noch ein Nachwort an, in dem er seinen persönlichen Werdegang als Autor von 1983 bis 2003 erhellt. Er gibt Erfahrungen aus seiner wechselhaften Karriere als Schreibender preis und warnt junge Autoren nochmals eindringlich vor der Anpassung: denn gleich ob es totalitäre Drohungen oder marktwirtschaftliche Verlockungen sind, die den intelligenten Menschen bewegen sich anzugleichen, als Autor wird man ihn nicht mehr ernst nehmen können, denn der Autor ist ein aus sich heraus Schaffender. dabei geht es immer auch um die freie Auseinandersetzung mit eigenen inneren Rissen und die kritische Bewertung der gesesllschaftlich-staatlichen Umgebung.
Auch Vorurteile gegenüber "jugendgefährdenden" Musikrichtungen rechnet er ab, mit der ebenso simplen, aber weisen Feststellung, dass die Entmenschlichung einzelner Täter immer in ihrer Psyche und ihrem menschlichen Enttäuschungen zu finden sind, nicht in den provokanten Werken der Künstler mit denen sie sich identifizieren.

Abschließend kann man feststellen, dass die Mischung dieses Bandes ausgewogen ist, nie zuviel Zeigefinger oder zuviel Unterhaltung bietet, selten lehrerhaft wird, sondern sich mit Menschen und ihrer spezifischen Umgebung auseinandersetzt.
Er ist ein Lokalautor im besten Sinne, denn er versteht offenbar den Geist seiner Heimat und die Spannung zwischen Naturromantik und Kleinbürgerlichkeit, zwischen deutscher Vergangenheit und dem Wandel Deutsches Reich - DDR - BRD, der vielerorts noch nicht vollzogen ist, ja eher einen Rückschritt ins braun-gefärbte oder resignative Abkapseln denn ein neues soziales Denken gebracht hat, das unser wiedervereinigtes Land verändern könnte.
Dieses Buch versucht natürlich auch, die DDR und ihren plötzlichen Untergang zu verarbeiten, denn er veränderte diese Landschaften und riss Löcher, die auch ein Autor erst einmal verarbeiten muss. So erscheint dieser Band auch erst im Jahr 2002 und nicht, wie vielleicht verdient, schon viel eher.
Höfer belächelt und betrauert die Menschen in seiner Umgebung, ohne sie bloßzustellen. Obwohl die tragischen Helden wie Wezel und der junge Falko dem Leser leid tun, muss man über die halbstarken Neonazis und pseudosatanischen Mörder und deren Antriebe eher lächeln. Trotz aller Bitterkeit findet Höfer immer auch ein oder zwei amüsierte Blicke auf seine Welt.
Insbesondere setzt Höfer seine Szenen immer in ein Licht der höheren Intention. Es handelt sich nie um reine Alltagsbeschreibungen, sondern bemüht sich stets um allgemeingültige Aussagen. Insbesondere, wo sie scharf Selbstzufriedenheit und die Verurteilung Andersdenkender anprangern, machen ihn seine Worte zu einem relevanten Autoren, der die Phantasie sparsam einsetzt und nie die manchmal harte Wirklichkeit aus den Augen verliert.
In: Thüringer Allgemeine, 01.10.2003 [&] Abyss.Abgrund.Almanch, 2004