Nach sechs politischen Sachbüchern hat der junge Leipziger Forum Verlag eine Lyrik-Collage veröffentlicht, die nicht nur in gegenwärtigen Zeiten zögerlichen Leseverhaltens als verlegerisch couragiert zu bezeichnen ist. Bei der
Buchpremiere von "bloß" vergangenen Dienstag im Leipziger Max- Klinger-Kunstsalon sprach denn Grit Hartmann vom Forum Verlag auch davon, dass man zwar sofort von dem Manuskript überzeugt gewesen sei, doch zwischen Wollen und finanziellem Können schwankte. Schließlich sei die Entscheidung, "koste es, was es wolle", für das Buch gefallen.
"bloß" in einer Auflage von 3000 Stück gedruckt, von denen 150 Exemplare nummeriert und handsigniert sind und ein Extra-Blatt zum Rahmen bieten, wird es nicht leicht haben in Buchhandlungen, die im Augenblick auf Nummer sicher gehen. Denn gewagt ist das Unternehmen und der Mitteldeutsche Verlag in Halle, dem das Manuskript im Herbst vergangenen Jahres zuerst angeboten wurde, lehnte es dann sofort auch ungesehen ab. Der 30-jährige Gerald Höfer aus Sondershausen und der zehn Jahre ältere Karlheinz Sydoruk, der in Cottbus lebt, lernten sich als Studenten im Leipziger Literaturinstitut kennen. Die Texte, die sie zu "bloß" montierten, waren Teil ihrer Abschlussarbeit am Institut. Eher zufällig stieß die 32-jährige Fotografin Andrea Schicker zu ihnen, die die "jungen Autoren", die offensichtlich in die Wende passten, für die Zeitschrift "Neues Leben" porträtieren sollte. Aus den Foto-Termin entwickelte sich die Zusammenarbeit für den nun erschienenen Band.


Tatsächlich sucht er, wie vom Forum Verlag unterstellt, in der DDR seinesgleichen. In seiner Machart, in und um die spröden Fotografien Andrea Schickers die Texte handschriftlich einzuschreiben oder Schreibmaschinenschnipsel einzukleben, ist er so unkonventionell wie der herbe Gestus der Lyrik selbst. Die Autoren haben nichts getan, um ihre Gedichte voneinander abzusetzen. Gerade das Zusammengehen zweier doch unterschiedlicher Stimmen mit dem fotografischen Blick war ihr Ziel.
Man könnte das Buch als eine Art lyrischen Lebenslauf einer in der DDR verlorenen Generation bezeichnen, der von der Kindheit mit "Filmspiegel"-Fetzen und abgeforderten Protestbriefen an Nixon im fernen "Weißen Haus" zur Blues Generation im Windschatten des Prager Frühlings reicht. "von jeans natürlich keine Spur" wie es in "Nachwort? Essay!" heißt, "meine alten hockten in der Partei, waren sie nicht zu Hause, drehte ich das Radio hoch, riss alle Fenster auf und holte mir einen runter".
Bob Dylan erlebt man bereits sarkastisch in ausgewogener Sozialsicherheit. Der Skeptizismus, der die "flucht nach innen, Feigheit nach außen" begleitet, kann durch die Wende nicht gewendet werden. Zwar ist es der Vater, der im Sessel sitzt wie "zerknülltes Pergamentpapier", doch ist auch die eigene Jugend bereits vorbei.


"Gegen zwei Uhr nachts verlöschen bei uns manchmal die Laternen" ist das bitter komische Resümee eines Weltempfindens, das in Mauern sozial behütet wurde. Das eigenwillige Kunstbuch, das nach Sydoruks Worten gerade "auch durch seine Unvollkommenheit lebt", wurde erstmals im Juli bei einer Veranstaltung im Schloss von Sondershausen vorgestellt. Die drei Autoren haben eine Ausstellung zu ihrem Werk arrangiert, die es in großformatigen Seitenabzügen präsentiert..."
In: Thüringer Tagespost und Sächsische Tagespost, 31.08.1990